Zahnmedizin im Mittelalter
Zwischen dem Ende des Römischen Reiches und der Entdeckung Amerikas liegt das Mittelalter
(ca. 500-1500 n. Chr.). Vieles, was wir heute als selbstverständlich betrachten, was zum Leben praktisch dazugehört, gab es damals noch nicht.
Kunstschnee fällt einem sofort dazu ein und Verkehrstote durch selbstfahrende Autos nach etwas nachdenken. Eine „Natürlich aufhellende Fluorid-Zahnpasta mit 3-fach Schutz“ fällt einem nüchtern denkenden Menschen nicht zum Thema ein. Uns schon. Wir sind wirklich zu bedauern.
Gerade was die Mundhygiene angeht, sind wir im Vergleich zum Mittelalter scheinbar weit gekommen. Ob Schallzahnbürste, Munddusche, Vegane Öko-Zahnseide, oder Zahnärzte wie wir, die mit Scannern wie dem Planmeca ProMax 3D auch in die hintersten Ecken deines Kiefers blicken können. Und ja, natürlich in „3D“.
Die Industrie hat Tonnen von Geld in die Entwicklung und Vermarktung neuester Errungenschaften gesteckt, bzw. die selben Errungenschaften neu verpackt und „3D“ auf die Packung gedruckt.
Und das Ergebnis?
Wir haben jetzt viele Produkte mit dem Zusatz „-3D“ im Badezimmer stehen, plus die dazugehörige App, und mehr Zahnprobleme als unsere Vorfahren im Mittelalter.
Wie kommts? Wie sah die Zahnmedizin im Mittelalter eigentlich aus? Wie war die Erfahrung beim „Zahnarzt“? Und sind wir irgendwie vom rechten Weg abgekommen?
Waren die Menschen im Mittelalter die besseren Zähneputzer?
Nein, gar nicht. Die gemeine Handzahnbürste, wie wir sie heute kennen gab es noch nicht, zumindest nicht in Europa. In China allerdings schon. Im Land der aufgehenden Sonne wurde die erste Zahnbürste mit einem Stiel aus Bambus oder Knochen und groben Schweineborsten um das Jahr 1500 n. Chr. in den Mund genommen. Die Form glich der eines Pinsels.
In Europa war man wenig von dem Borstenstengel angetan und rümpfte die Nase. Brachten doch die groben Borsten das Zahnfleisch zum Bluten. Wir halten fest: Bereits im Mittelalter erregte sich das europäische Gemüt über Qualitätsmängel bei Produkten aus Fernost.
Jedenfalls setzte man in Europa lieber weiterhin auf Lappen, grobes Leinen, oder Naturschwämme, die mit diversen Kräutern, Pülverchen oder Pasten angereichert waren, um sich die Zähne abzurubbeln. Rosmarin, Salbei, Pfeffer und Zimt fanden dafür viel Verwendung, genau wie Salz und Minze. Tinkturen auf Essigbasis hielten den Atem frisch. So ging das noch bis ins 18. Jahrhundert.
Dann aber erschien Christoph von Hellwig (1633-1721) auf der Bildfläche, entwickelte eine brauchbare Zahnbürste, brachte diese in Umlauf und als Dank steht in seiner Heimatstadt Bad Tennstedt bei Thüringen dieses wunderschöne Zahnbürstendenkmal.
Zucker macht den Unterschied
Aber vom schrägen Denkmal der Neuzeit noch einmal zurück ins Mittelalter. Nein, die Menschen putzten nicht besser, aber sie ernährten sich besser. Zucker war ein Luxusgut, unerschwinglich für die breite Masse. Selbst die High Society nutzte Zucker nur in Maßen.
Hätte man den Menschen damals erzählt, dass große Teile der Weltbevölkerung in Zukunft 16 Würfelzucker in Flüssigform aus roten 500ml Trinkbehältern zu einem Spottpreis in sich reinkippen, man wäre wohl auf dem Scheiterhaufen gelandet.
Die Erfindung der Sklaverei und die spätere Industrialisierung drückte den Zuckerpreis und machte Zucker zum Massenprodukt. Der Durchschnitts-Europäer verbrauchte im 17. Jahrhundert zwei Kilo Zucker, im 18. Jahrhundert dann schon neun, und im 19. Jahrhundert über 50 Kilo. Die Risiken und Nebenwirkungen kennen wir alle vom Zahnarzt und unserem Body-Mass-Index.
Der fehlende Zucker auf dem Speiseplan ist wohl der Hauptgrund, warum Archäologen auf 600 Jahre alte Gräber stoßen, deren Bewohner oft mit intakten Gebissen prahlen. Die Auswertung archäologischer Daten aus dem Mittelalter zeigen, dass im Schnitt nur 20 Prozent der Zähne Anzeichen von Verfall aufweisen. Bei einigen Bevölkerungsgruppen des frühen 20. Jahrhunderts waren es bis zu 90 Prozent.
Das soll aber nicht bedeuten, dass Menschen im Mittelalter keine Zahnprobleme gehabt hätten. Karies und Loch im Zahn gab es trotzdem, denn nicht jeder nahm es mit der Naturschwammreinigung so genau.
„Einmal bitte den Zahn ziehen und dann seitlich die Haare stutzen.“
Menschen die im Mittelalter Zahnschmerzen hatten gingen zum Friseur, genauer gesagt zum Friseurchirurg. Zahnärzte mit Praxis, Betäubungsspritze, 3D-Scanner und beruhigenden Worten waren noch in weiter Ferne. Zähne wurden beim Friseur meist mit Zange oder Zahnschlüssel und ohne Betäubung gezogen. Eventuell war etwas Alkohol im Spiel, aber das war dann schon das Maximum an Schmerzlinderung.
Je nach Talent des Friseurchirurgs, klappte das mit dem Ziehen mal besser mal schlechter. Oft war es mehr ein Herausbrechen der Zähne als ein Ziehen.
War mal kein Friseur zur Stelle hat der Hufschmied ausgeholfen.
Neben zahnärztlichen Arbeiten konnte man beim Friseurchirurgen übrigens auch einen Aderlass und/oder eine Amputation in Auftrag geben.
Sind wir also vom rechten Weg abgekommen?
Wenn man sich die Zahnverfall-Statistik so ansieht, könnte man das meinen. 20% Zahnverfall im Mittelalter, 90% im frühen 20. Jahrhundert. Das sind schon Zahlen die aufhorchen lassen.
Trotzdem haben, zumindest im 21. Jahrhundert, in großen Teilen der Welt die Menschen die gesündesten, saubersten und weißesten Zähne. Sie stehen auch gerader als früher, dank Zahnspangen und Aligner-Therapien.
Es ist richtig, dass Zucker Jahrhunderte lang ein bisschen als schmerzhafte Spaßbremse fungiert hat, aber auch hier üben immer mehr Menschen Verzicht, oder zumindest eine Reduzierung in Speisen und Getränken und ernähren sich generell gesünder, was sich auch auf die Zahngesundheit auswirkt. Die regelmäßige Vorsorgeuntersuchung und eine professionelle Zahnreinigung verhelfen den Zähnen dann wieder zum vollen Glanz. In diesem Sinne sind wir eigentlich auf einem ganz guten Weg.