Tierschutz aus dem 3D-Drucker
Menschen sind super im Rekorde aufstellen. Mit „höher, schneller, weiter“ beeindrucken wir uns gerne selbst und klopfen uns dann zufrieden auf die Schulter. Also dann, auf uns! Prost!
Wir Menschen haben nach Angaben der Umweltorganisation WWF in den vergangenen Jahrzehnten fast 70 Prozent aller bekannten Wirbeltierbestände ausgerottet. Neuer Rekord! 70 PROZENT!
Noch 2015 titelte das Spanien-Reisemagazin: „Wölfe in Andalusien brauchen Schutz“.
August 2023, und der Wolf in Andalusien wurde offiziell für ausgestorben erklärt.
Die Ursachen für dieses massive Artensterben seien „allesamt menschengemacht“, sagt die WWF.
Tiere, die unsere Kinder nie live kennenlernen, sehen, bewundern können, selbst wenn sie wollten.
Sie sind nicht mehr da. Weg. Futsch. Aber wozu gibt es Lexika, Google und YouTube-Videos in 4K?
Alles gut. Prost!
Wir sind derzeit sehr damit beschäftigt Bücher umzuschreiben, deren Sprache vermeintlich nicht mehr „zeitgemäß“ ist. Vielleicht können wir im selben Atemzug auch gleich Referenzen zu Tieren tilgen, die uns Menschen nicht überlebt haben. Denn was sagen wir unseren Kindern, wenn sie irgendwann einmal fragen: „Papa, was hast du eigentlich genau gemacht, um das Tiersterben zu verhindern?“. „Ehm… Wer? Ich? Ja… Ehm… Prost!“
Das Tierschutz nicht immer so einfach, nicht immer schwarz-weiß, sondern auch mal grau sein kann, ist auch klar. Nehmen wir das Beispiel des Nyishi-Stammes im Nordosten Indiens. Die Nyishi-Gemeinschaft ist in den Tieflandregenwäldern von Arunachal Pradesh der größte indigene Stamm des Bundesstaates. Sie teilen sich Land und Luftraum (noch) mit Tigern, Nebelpardern, Adlern und Nashornvögeln.
Traditionell tragen Männer eine Byopa, eine handgeflochtene Schilfmütze. Diese wir oft mit dem Schnabel und der Kappe eines Nashornvogels verziert. Zur weiteren Ausstattung gehört eine Machete, die mit dem Kiefer des Nebelparders, oder dem viel größeren Kiefer des Tigers daherkommt. Zu guter Letzt wird auf dem Rücken eine Adlerkralle getragen.
Die Menschen dort glauben, dass der Tiger den Dschungel beherrscht. Der Adler beherrscht den Himmel. Ihre Teile zu tragen bedeutet, dass man ihren mächtigen Geist in sich trägt und die Menschen beschützt. Es sind auch Statussymbole, wie bei uns die dicken Autos, oder elektronische Gerätschaften mit Fallobst-Logo.
Aber die Jagd auf seltene Tiere und das Tragen ihrer Körperteile in einem Bundesstaat, wo die Zahl der Wildtiere zurückgeht, ist nur noch schwer zu verdauen.
Alte Traditionen ursprünglicher Stämme, die in Zeiten von Weltuntergangsstimmung nicht mehr recht zeitgemäß erscheinen.
Was also tun?, dachte sich Nabam Bapu, ein Unternehmer vom Stamm der Nyishi, der die Tradition seines Stammes mit Skepsis verfolgte.
Man könnte doch Tierteile mit einem 3D-Drucker nachbauen, dachte er sich im Januar 2020 und tat sich mit seinem Freund Anang Tadar zusammen, um eine Alternative zu den traditionellen Kopfbedeckungen zu schaffen. Eine geniale Idee, da es heutzutage kaum noch Dinge gibt, die sich nicht 3D-drucken lassen. In der Zahnmedizin sowieso. Kronen und Brücken, Aligner und Retainer, Zahnimplantate, Chirurgische Schablonen, Anatomische Replikate und Modelle, Zahnersatz, Gussmodelle… Es wird gedruckt, was die Presse hergibt. Ganz ohne Presse. Warum also nicht auch die Zähne eines Tigers? Die Krallen eines Adlers?
Alleine für die Beschaffung der zu verwendeten Materialien haben Bapu und Tadar zwei Jahre gebraucht. Von einer Reihe von Kunstharzen bis hin zu Kunststoffen, Holz und feuerfestem Glas. Es wurde viel herumexperimentiert. Auch die Verwendung von pflanzlichem und umweltfreundlichem Harz erforschen die beiden.
Einmal im Monat wandern Bapu und Tadar über kilometerlange unbefestigte Straßen, um ihre neuesten Proben zu den Dorfältesten zu bringen, wie der Guardian berichtet.
Die Dorfältesten prüfen die Qualität der Replika, denn nur sie können die Nähe zu einem echten Tierteil beurteilen und die Modelle dann als gute Alternativen akzeptieren. So haben die beiden mehr als hundert 3D-Drucke der Zähne des Nebelparders und des Tigers, des Wildschweins und die gelben Krallen des Adlers hergestellt.
Nicht jeder kann sich echte Teile von Wildtieren leisten. So kann der Preis für Tigerzähne auf dem Schwarzmarkt zwischen 400.000 und 500.000 Rupien [€4.400-€5.450] liegen. Repliken aus dem 3D-Drucker können hier als günstige und tierfreundliche Alternativen dienen.
Ähnliche Projekte wie das von Bapu und Tadar gibt es längst auch anderswo.
In Afrika startete „Panthera“, eine Wohltätigkeitsorganisation zum Schutz der Wildkatze, 2013 ihr Programm „Furs for Life“ (Pelze für das Leben), bei dem synthetisches Leopardenfell hergestellt wird. Diese sollen echte Leopardenfelle ersetzen, die für Umhänge verwendet werden.
Die Wohltätigkeitsorganisation schätzt, dass das Projekt zu einer 50-prozentigen Verringerung der Verwendung echter Leopardenfelle geführt hat.
An diesen Projekten ist zu erkennen, was mit der 3D-Drucker Innovation möglich ist.
Hält man sich das Gesamtbild vor Augen scheinen diese Projekte höchstens kühle Tropfen in einem riesigen, immer wärmer werdenden Ozean zu sein. Eine bloße Lebenserhaltungsmaßnahme für einige Tiere auf unserer Welt.
Aber es gibt hunderte ähnlicher Projekte, in allen Regionen der Welt. Und zusammengenommen sind sie mehr als nur Lebenserhaltungsmaßnahme. Zusammengenommen werden sie zu einer Chance für die Tiere, für die Welt und für eine neue Generation Mensch, die hoffentlich klüger agiert, als viele von uns es können oder wollen.
Titel Bild: Etsy – BeautifulPangea