Wer bist du?
Am 26. Dezember 2004 überrollte ein Tsunami wie eine tödliche Wand aus Wasser Südostasien. Viele der aus aller Welt stammenden Opfer konnten mittels forensische Zahnmedizin, also primär anhand ihrer Zähne identifiziert werden. Die forensische Odontologie kam auch bei den Terroranschlägen vom 11. September in New York zum Einsatz, als 2005 Hurricane Katrina zuschlug, bei etlichen Flugzeugabstürzen, Zug- und Verkehrsunfällen, Massenmorden und bei der Identifizierung der verbrannten Leichen von Adolf Hitler und Eva Braun.
Doch wie genau funktioniert eine Identifizierung, wenn außer Zähnen nicht mehr viel vom Menschen übrig ist?
Das Thema ist genauso morbid wie faszinierend. Zähne, Zahnelemente und sogar Zahnspuren können wichtige Indizien zur Identifikation einer Person liefern. Möglich ist dies erst durch die Tatsache, dass Zahnstrukturen nicht nur die härtesten, sondern auch die am besten geschützten Strukturen des Körpers sind. Vor allem der Zahnschmelz sorgt dafür, dass eine Verwesung nur sehr sehr langsam voranschreitet. Auch heute noch lassen sich 40 000 Jahre alte Zähne von Neandertalern untersuchen und herausfinden was damals auf dem Speisezettel stand. So gehören Zähne zu den letzten Strukturen die nach dem Tod zerfallen, und halten zudem Temperaturen bis zu 1200° Celsius stand.
Genau wie bei Fingerabdrücken liegt die Hauptgrundlage für die zahnmedizinische Identifizierung in der Tatsache, dass keine zwei Mundhöhlen gleich sind. Wenn zahnärztliche Unterlagen wie Röntgenbilder oder Implantatsnachweise vorliegen, die einem möglichen Opfer zuzuordnen sind, vereinfacht das den Identifizierungsprozess.
Denn verschiedenste Zahnmerkmale wie Abnutzungsmuster, Engstand der Zähne, Farbe und Position des Zahns, Variationen in Form und Größe, fehlende Zähne und dutzend andere Mundhöhlencharakteristika lassen auf die Identität eines Menschen schließen.
Aber bis es zur Identifikation der Person kommt, geben Zähne erst einmal Indizien ab. Ermittler können im Labor anhand von Zähnen ziemlich genau das Alter, Geschlecht, Rasse und Ethnizität, Gewohnheiten und teilweise sogar bestimmte Berufe bestimmen. Alles Indizien, die später zur Identifikation einer Personen führen können.
Genau damit befasst sich die forensische Odontologie.
Welch große Rolle die forensische Odontologie heutzutage in den Ermittlungen spielt zeigt die Tatsache, dass die Kriminalpolizei in Deutschland regelmäßig den Zahnstatus unbekannter Opfer in zahnärztlichen Fachzeitschriften veröffentlicht. Diese können dann mit zahnärztlichen Unterlagen wie Röntgenbildern etc. verglichen werden und zur Idenfizierung beitragen. Bestimmte Berufe sowie Gewohnheiten, wie beispielsweise das Rauchen, lassen sich aus Veränderungen an den Zähnen erkennen. Wie gut ein Gebiss gepflegt ist und die Art wie es behandelt wurde geben oft Hinweise auf Stand und soziale Stellung des Unbekannten. Der Job der Ermittler wird heutzutage dadurch erschwert, dass immer mehr Leute regelmäßig zum Zahnarzt und zur Vorsorge gehen. Kariesschäden und Parodontose werden eingedämmt, Röntgenbilder weniger oft erstellt, und die Aktenlage, die zu einer positiven Identifizierung führen kann, somit verdünnt.
Die forensische Zahnmedizin vs Altersdiagnostik
In Situationen wo das Alter einer Person (lebend oder verstorben) nicht eindeutig nachweisbar ist, kann die forensische Zahnmedizin anhand der Zahnreife helfen das Alter zu bestimmen. Wie wir bereits in den beiden Zahnfee Artikeln gesehen haben, kann das Alter bei Kindern und Jugendlichen ziemlich genau bestimmt werden. Dies ist relativ einfach anhand der Tatsache zu sehen, welche Zähne bereits durch das Zahnfleisch gebrochen sind. Zusätzlich können Röntgenbilder die verschiedenen Stadien der Mineralisierung näher bestimmen.
Hilfreich kann dies beispielsweise bei unklarem Geburtsdatum eines Beschuldigten sein, bei dem festgestellt werden muss, ob er noch unter das Jugendstrafrecht fällt oder (vor Vollendung des 14. Lebensjahres) strafunmündig ist. In Deutschland wird immer ein richterlicher Beschluss benötigt, um eine forensische Altersschätzung bei lebenden Menschen durchführen zu können.
Bei Erwachsenen kann die forensische Zahnmedizin mit einer Genauigkeit von etwa +/- 5 Jahren das Alter bestimmen.
Die forensische Zahnmedizin vs Geschlechtsbestimmung
Zu 100% bestimmen lässt sich das Geschlecht eines Menschen rein durch Zähne zwar nicht, aber in Verbindung mit anderen Unterlagen, die einem Gerichtsmediziner möglicherweise vorliegen, liefern Zähne zumindest hilfreiche Indizien, die eine Geschlechtsvermutung untermauern können. Immerhin liegt die Gesamtgenauigkeit der odontometrischen Geschlechtsbestimmung bei etwa 72%. Meist wird die Vermessung von Zähnen zur Geschlechterbestimmung eingesetzt. Die Unterkiefer-Eckzähne beispielsweise können sich hier bei Frauen und Männern deutlicher Unterscheiden als die Oberkiefer-Eckzähne. Und auch der sogenannte Eckzahnkamm ist bei Männern generell ausgeprägter als bei Frauen.
Eine weitere Möglichkeit der Geschlechterbestimmung ist das Extrahieren von DNA aus dem Pulpagewebe sowie aus dem Dentin, aber 100% ist auch dieses Vorgehen nicht.
Der Ungewissheit ein Ende setzen
Oft hört man von Angehörigen vermisster Personen, dass die Ungewissheit ob ihre Lieben noch am Leben sind oder nicht, besonders schlimm sei. Soll man trauern? Darf man trauern? Gibt es doch noch ein Wiedersehen? Schlimmer kann es kaum sein, keinen Abschluss finden zu können, und immer nagt die Hoffnung.
Gerade bei großen Naturkatastrophen wie dem eingangs erwähnten Tsunami in Südostasien, bei dem durch das Beben, der Flutwelle und deren Folgen etwa 230 000 Menschen ihr Leben verloren hatten, hat die forensische Zahnmedizin substanziell dazu beigetragen, dass viele Angehörige Gewissheit hatten, trauern durften und hoffentlich auch einen Abschluss finden konnten.